Dr. Jörn-Christoph Jansen unterwegs als Internationaler Schiedsrichter

Als die Einladung im Sommer 2022 für April 2023 kam, wusste ich noch nicht genau, dass es Ostern sein würde, aber die „2023 Zoom8 Boy’s and Girl’s European Championships“ sollten mich wieder ins Ausland führen. Schon 2021 habe ich die Zoom8 Weltmeisterschaften, veranstaltet vom Yachtklubben Furesøen, in Dänemark schiedsen dürfen. 2022 konnte ich der Einladung zur Weltmeisterschaft nach Estland berufsbedingt nicht folgen.

Blick über Bucht und Hafen von Kaløvig Bådelaug

Austragungsort der Europameisterschaften war nun abermals Dänemark: Kaløvig Bådelaug – der Heimatclub von Jens Villumsen (IJ, DEN), den ich seit 2010 kenne, schätze und der mich letztlich auch als Pate gefördert hat. 2021 wurde Jens verdientermaßen mit der „Goldenen Nadel“ des Dänisches Seglerverbandes ausgezeichnet. Damit befindet sich Jens in elitärer Gesellschaft, auch Paul Elvstrøm hat diese Auszeichnung erhalten. Seit 1982 ist Jens ehrenamtlich engagiert. Bis 2020 war er Regattamanager bei Sailing Århus, 1988 wurde er nationaler und 1996 Internationaler Schiedsrichter.  Heute ist er externer Berater bei Kaløvig Bådelaug (dt. Bootsgilde), einem Club, der über 1.000 Mitglieder hat und in Skødstrup, einem Vorort nordöstlich von Århus, liegt. Seit 2013 wohnt Jens sogar auf dem Clubgelände.

Mein Weg führte mich also nach der Arbeit im Büro am Dienstag auf die fast 500 Kilometer lange Strecke nach Skødstrup. Dort würde ich auf ein Team bestehend aus Dr. Rainer Kornfeld (IJ, Österreich), Jens Christian Kallesøe True (NJ, Dänemark), Patric Loydell (NJ, Südafrika) und natürlich Jens selbst treffen.

Vor dem Haus von Jens Villumsen (v.l.n.r.): Patric Loydell (NJ, RSA), Dr. Rainer Kornfeld (IJ, AUT), Jens Villumsen (IJ, DEN) und Dr. Jörn-Christoph Jansen (IJ, GER)

Wie schon 2021 hatte mich die Dansk Sejlunion zum Chairman der Internationalen Jury berufen. Rainer und Jens kenne ich natürlich aus Warnemünde und von vielen anderen Veranstaltungen. Jens Christian True kannte ich schon von der H-Boot Weltmeisterschaft 2021 in Struer. Patric Loydell wurde uns empfohlen. Er ist auf dem Weg, International Judge zu werden und wird auch zur 85. WARNEMÜNDER WOCHE 2023 dabei sein.

Die Zoom8 ist in Deutschland weniger bekannt. Es ist eine kleine, leichte Segeljolle für Kinder und Jugendliche. Neben Freizeitzwecken dient das einhand gesegelte Boot vor allem in Skandinavien, Österreich und Estland der Ausbildung des Seglernachwuchses für den Regattasport. Zoom8 ist eine von World Sailing anerkannte internationale Einheitsklasse.

Anfang der 1990er Jahre wurde das Boot von jungen Jollenseglern und dem im Bootsbau erfahrenen Henrik Segercrantz in Finnland entworfen. Rumpf und Deck sind in Sandwichbauweise, die Decklagen aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK), gefertigt. Der Mast besteht aus GFK mit Carbonverstärkungen, der Baum aus schwarz eloxiertem Aluminium. Das Boot ist cat-getakelt, hat also nur ein Segel mit einer Segelfläche von 4,8 m². Als Segeltuch wird gewebtes Dacron-Tuch verwendet. Die maximale Zuladung des segelfertigen Bootes beträgt 150 kg.

Nach einem Zwischenstopp zum Tanken und für einen Hotdog im Scandinavian Park erreichte ich die Gegend um Kaløvig kurz vor 20:30 Uhr. Kalø Vig ist eine dänische Meeresbucht der Ostsee am Nordufer der Århusbucht an der Küste der Landschaft Mols der Halbinsel Djursland. Im Osten wird die Bucht durch die Mols Bjerge und die Halbinsel Skødshoved begrenzt, im Westen durch das Gebiet nördlich von Århus. Sie ist benannt nach der Insel Kalø mit ihrer gleichnamigen Burg und dem dänischen Wort Vig für kleine Bucht. Von der Bucht zweigt östlich die fast vollständig geschlossene Knebel Vig ab. Am Nordende liegt die Insel Kalø mit ihrer Burgruine. Die Insel ist seit Jahrhunderten mit dem Festland durch einen Damm verbunden. Etwas östlich der Burgruine befindet sich eine Marina, zwei weitere Marinas liegen an der Westküste bei Egå. An der Westküste liegt das Kraftwerk Studstrup. An der Kalø Vig liegen im Uhrzeigersinn die Ortschaften Egå, Rønde, Egens, Vrinners.

Auf dem Vereinsgelände warteten bereits Jens, Rainer und Patric auf mich. Wir tauschten uns aus; es gab ein Begrüßungsbier und Tina – die „Mutter aller hungrigen Segler“, wie Jens sie nennt – servierte mir sofort ein Abendessen im Jugendhaus, das auch das Wettfahrt- und das Jurybüro beherbergen sollte. Anschließend bezog ich mein Zimmer. Während Jens in seinem Haus auf dem Vereinsgelände wohnte, waren wir anderen vier zusammen in einem Häuschen untergebracht.

Am nächsten Morgen waren es -2°C und mein Auto war komplett zugefroren. Erstmal gab es Frühstück um 8:30 Uhr, wo ich Chefvermesser Karl Mikulaschek (IM, AUT) wieder traf, der 2021 schon in Furesøen war. Tina hatte das Frühstück vorbereitet; es gab alle dänischen Spezialitäten und von ihr selbst gebackene Brötchen. Das Lunchpaket schmierte sich jeder selbst, aber wir hatten noch Zeit. Also fuhren Jens und ich in die Stadt und arbeiteten die Einkaufsliste meiner Eltern ab. Um 10:30 Uhr trafen wir uns bei Jens zur Hausbesichtigung und zum ersten Jurymeeting. Inzwischen war auch Jens Christian True eingetroffen. Wir verteilten die Aufgaben, berieten unser Vorgehen und Patric bat mich um Begutachtung für seine internationale Lizenz. World Sailing hatte mir deshalb bereits geschrieben.

Um 14:00 Uhr begann das Practice Race. 40 der 42 gemeldeten Boote, die aus Estland, Schweden, Finnland und Dänemark kamen, nahmen teil. Der Assisting Race Officer Claus Christiansen (NRO, DEN) leitete die Wettfahrt. Ich war mit Jens Christian True auf einem Schlauchboot. Rainer und Patric bildeten das zweite Team. Wir vergaben zwei gelbe Flaggen, bevor es wieder an Land ging, wo alle Nationenfahnen gehisst waren – Schwarz-Rot-Gold für mich als einzigen Deutschen. Ich stellte fest, dass ich mich für drei Wettfahrten am Donnerstag wärmer anziehen muss, als für diese eine Übungswettfahrt. Am Abend wartete die Nationenpräsentation auf uns und auch wir wurden vorgestellt. Alle Teilnehmer erhielten hier ihren Startpreis. Der Principal Race Officer (PRO) Gert Schumann (NRO, DEN) war nach Autopanne nun ebenfalls eingetroffen. Wir lassen den Abend gemütlich ausklingen.

Nach dem Frühstück am Donnerstag ging es zum Coachmeeting und der PRO Gert Schumann präsentierte seinen Tagesplan. Es sollten drei Wettfahrten werden und entgegen aller Prognosen deutete sich Flagge ‚Oscar‘ an; Pumpen, Rocken und Oochen würden im Rahmen der Klassenregeln dann freigegeben werden. Das würde die jungen Segler warmhalten, brächte uns natürlich aber weniger Arbeit. Nach dem Jurymeeting ging es raus und tatsächlich erwarteten uns mehr als 12 Knoten. Patric und ich sowie Jens und Rainer bildeten die Teams. ‚Oscar‘ wurde gesetzt und Girls & Boys starteten mit einem Start und gingen auf einen Outer-Loop-Kurs. Bei den Mädchen gewann Maja Brønlund Olesen vom Kaløvig Bådelaug alle drei Wettfahrten. Bei den Jungen ist es spannender: Tobi Blander Hedegaard (2x Platz 1, 1x Platz 2) und Nikolaj Jakobsen (1x Platz 1, 2x Platz 2) liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Zoom8 am Gate – Dänen führen

Von uns gab es keine gelbe Flagge und für uns auch keine Proteste. Die Segler nahmen von selbst Drehungstrafen an. Später erzählte mir der dänische Nationaltrainer, dass das auch daran lag, dass wir vor zwei Jahren über 30 gelbe Flaggen vergeben haben und ich bekannt sei. Außerdem erzählte er mir, dass die dänischen Kinder und Jugendlichen die gesamten Wintermonate in Kaløvig in der Ostseebucht trainierten. Absegeln gibt es dort nicht. Die jungen Segler wollen es auch gar nicht. Die Skandinavier sind eben härter als wir. Wir genossen den Abend beim von Tina gezauberten Dinner.

Der Freitag war fast eine Kopie des Donnerstags. Wieder waren es mehr als 12 Knoten und ‚Oscar‘ wurde gesetzt. Drei Startversuche bis zur Schwarzen Flagge waren dann der einzige Unterschied zum Vortag. Ich bildete mit Rainer ein deutsch-österreichisches Team. Jens und Jens Christian waren als ‚Danish Dynamite‘ unterwegs. Wir vergaben trotzdem keine gelben Flaggen. Bei den Mädchen gewann Maja Brønlund Olesen wiederum alle drei Wettfahrten, aber Emilie Vesteroe Nielsen war viel dichter dran und gewann so manche Startkreuz und eine Wettfahrt trennten die beiden nur eine Bugspitze. Bei den Jungen setzte sich nun Nikolaj Jakobsen (2x Platz 1, 1x Platz 2) von Tobi Blander Hedegaard (2x Platz 3, 1x Platz 9) deutlich ab. Kristoffer Jakobsen (2x Platz 2, 1x Platz 3) Rasmus Uslev (2x Platz 3, 1x Platz 1) machten den Medaillenkampf spannend. Am Abend erwartete uns das Regattadinner im Kaløvig Bådehotel, was übriges ‚Bootshotel‘ und nicht etwa ‚Badehotel‘ heißt. Neben gutem Essen wurden auch hochwertige Preise der Sponsoren an alle Nationen verlost, sodass die Siegerehrung am letzten Tag schneller gehen würde. Wir saßen mit den estnischen Trainern am Tisch und das Gespräch war interessant, denn auch die Esten trainierten im Winter auf dem Wasser und waren schon vor vier Wochen hier und haben ihre Boote gleich dagelassen.

Der Sonnabend präsentierte sich sonnig mit nur noch 8-10 Knoten. An das gute Frühstück von Tina gewöhnt man sich schnell und dann ging es auch schon raus. Weil ‚Oscar‘ nicht gesetzt war, kam nun Arbeit auf uns zu. Die Strömung, die in die Bucht führte, machte das Starten schwierig und es bedurfte drei Versuchen bis zur Schwarzen Flagge. Am Start vergaben Patrick und Jens Christian unsere erste gelbe Flagge – es würde die einzige bleiben. Jens und ich bildeten das zweite Team und sahen einen Crash zweier Dänen, der zu unserem ersten Protest führen sollte. Bei den Mädchen gewann tatsächlich mit Ann Caroline Fuerst aus Estland ein anderes Boot. Der Däne Malte Trangeled siegte bei den Jungen.

Nach einer Wettfahrt bei weiter abnehmendem Wind, führte der erste Startversuch zur zweiten Wettfahrt zum Allgemeinen Rückruf. Die Strömung hatte acht Boote über die Startlinie gezogen. Weil das Wettfahrtkomitee leider nicht schnell Startverschiebung signalisierte, führte das zu Enttäuschungen und zu einem Antrag eines dänischen Seglers auf Wiedergutmachung. Um die Segler nicht beim Warten auch noch frieren zu lassen, wurden alle in den Hafen geschickt. Die Bucht hatte zwei Knoten Wind – kaum Hoffnung auf weitere Wettfahrten. Doch als wir gerade umgezogen waren, kam tatsächlich Wind. ‚AP über H‘ ging runter und wir mussten uns wieder umziehen und zurück auf das Wasser. Eine Leichtwindwettfahrt ohne besondere Vorkommnisse gewannen Maja Brønlund Olesen (7. Sieg nach acht Wettfahrten) und Nikolaj Jakobsen (4. Sieg bei 4x Platz 2). Die Goldmedaillen schienen vergeben.

Der Protest war allerdings ungültig. Der Segler rief nicht ‚Protest‘ und wollte eigentlich auch Wiedergutmachung für seinen Platzverlust. Das hatte er aber gar nicht beantragt und wäre auch nicht erfolgreich gewesen; Schaden gab es nicht. Die zweite Anhörung war ein Antrag auf Wiedergutmachung für den Frühstart unter Strömungsbedingungen, aber das Wettfahrtkomitee hatte keinen Fehler gemacht. Wir diskutierten den Fall und erklärten dem Segler die Situation.

Danach wärmten wir uns einen Tag vor Ostersonntag beim ‚Weihnachtsessen‘ mit Krustenbraten, karamellisierten Kartoffeln und Rotkohl auf. Zum Nachtisch gab es traditionelles dänisches Weihnachtsdessert – Ris á l’amande. Dabei wird eine große Schüssel kalter Mandelmilchreis (auch genannt Ris á l’amande) serviert. Dazu werden heiße Kirschen gereicht. Das Besondere daran: In der Schüssel ist eine ganze Mandel versteckt.  Wer sie findet hat im kommenden Jahr Glück und bekommt ein kleines Geschenk (Mandelgave). Dieses Mal gab es Schokolade.

Flaggenparade

Der Sonntag war mein Ruhetag. Rainer und Jens Christian sowie Patric und Jens bildeten die Teams und ich schrieb den IJ-Report des Events für World Sailing und auch die Bewertung für Patric. Nach einer Startverschiebung für eine Stunde an Land ging es für die Boote doch noch raus. Aber nach mehreren Versuchen wurde kurz vor 13 Uhr die Europameisterschaft beendet. Wir hatten immerhin acht von geplanten zwölf Wettfahrten geschafft.

Auf der Siegerehrung räumten die Dänen alle Medaillen ab. Bei den Mädchen gewann Maja Brønlund Olesen vor Emilie Vesteroe Nielsen und Nanna Sofie Xu Misfeldt. Nikolaj Jakobsen siegte bei den Jungen vor Tobi Blander Hedegaard und Kristoffer Jakobsen. Alle anderen Nationen können nun zu den Weltmeisterschaften (01.-07.07.2023) in Finnland beim Turku Yacht Club Revanche nehmen.

Unmittelbar nach der Siegerehrung verabschiedeten wir Jens Christian True nach Struer und Patric Loydell, der am nächsten Morgen in die Schweiz flog. Rainer, Jens und ich verbrachten einen entspannten Nachmittag und Abend bei Speis und Trank, bevor wir uns zum Frühstück am nächsten Morgen im Jugendhaus wieder trafen. Tina war zwar nicht mehr da, aber sie hatte uns eingewiesen.

Sonnenaufgang mit Blick auf Kaløvig

Vor dem Frühstück trafen Jens, Rainer und ich übrigens noch Søren Johnsen, der im Vorjahr seinen vierten Europameistertitel in Röbel/Müritz im Europe gewann und zudem siebenfacher Europe-Weltmeister ist. Søren kam am Vorabend vom Gardasee und wollte nun trainieren …

Nach dem Frühstück brachte ich Rainer auf seinen Weg nach Billund, von wo er nach Wien über Frankfurt/Main fliegen sollte, und reiste selbst für einen kurzen Osterbesuch nach Güstrow weiter, wo ich sechs Stunden später ankam.

Mit den Zoom8 könnte es in Deutschland 2024 ein Wiedersehen geben. Die Klasse überlegt, der WARNEMÜNDER WOCHE die Austragung ihrer Weltmeisterschaft anzutragen und wir sind daran nicht ganz unschuldig.

Für mich geht es auswärts mit dem Plauer Opticup über Himmelfahrt weiter – 115 Boote sind schon in der Meldeliste. International steht über Pfingsten die Weltmeisterschaft der Drachen in Bodrum (Türkei) auf dem Programm. Danach ruft Warnemünde und zwischendurch natürlich immer wieder der Inselsee. Die Segelsaison hat ja gerade erst angefangen.

Dr. Jörn-Christoph Jansen