Dr. Jörn-Christoph Jansen unterwegs als Internationaler Schiedsrichter
Zweimal hat sich mein Weg mit den Zoom8 bisher gekreuzt. Bereits 2023 war ich bei den „Zoom8 Boy’s and Girl’s European Championships“ in Dänemark, veranstaltet durch den Kaløvig Bådelaug – Heimatclub von Jens Villumsen (IJ, DEN). Zwei Jahre zuvor war ich sogar bei der WM. 2023 konnte ich einer weiteren Einladung zur Weltmeisterschaft nach Finnland leider nicht folgen, denn sie lag parallel zur WARNEMÜNDER WOCHE. Eigentlich war als Austragungsort der EM 2024 nun Österreich an der Reihe. Insofern war für mich klar, dass ich die Zoom8 eine Weile nicht sehen würde, denn den weiten Weg nach Österreich würde ich über Ostern kaum antreten.
In Österreich fand sich aber so kein Ausrichter und so kam es, dass die Präsidentin des Zoom8-Weltverbandes, Anita Yngve (SWE), Jens Villumsen fragte, ob er einen Club wüsste. Jens schlug Deutschland vor, obgleich die WM 2024 in Warnemünde und damit auch in Deutschland stattfinden würde. Mit Unterstützung von Stefan Ibold vom Hannoverschen Yachtclub e. V. kam schließlich der Kontakt zur Baltischen-Seglervereinigung e. V. (BSV) in Steinhude zustande. Der BSV ist im Juli auch Gastgeber der Internationalen Deutschen Meisterschaft der Piraten.
Bevor ich über die Zoom8 EM schreibe, muss geklärt werden, warum eine Seglervereinigung am Steinhuder Meer, die 2028 ihr 150-jähriges Jubiläum feiern wird, „baltisch“ heißt. Die Geschichte lautet so: Die Menschen, die 1878 den Rigaer Yacht-Club gegründet haben, den ältesten der baltischen Stammvereine, dessen Tradition der BSV heute noch wahrt, oder diejenigen, die bereits 1820 in Reval den „Orden der kühnen Segler” stifteten (der allerdings nur kurze Zeit Bestand hatte), 35 Jahre bevor der älteste Segelclub Deutschlands, der Segelclub „Rhe“ in Königsberg (1855) gegründet wurde, diese Menschen waren geprägt durch ihre Vorfahren und das Land, in dem sie lebten. Diese Vorfahren kamen vor etwa 800 Jahren – ursprünglich vorwiegend aus Niedersachsen und Westfalen – als Fernkaufleute, Handwerker, Priester und ritterliche Kreuzfahrer auf dem Seeweg in das ostbaltische Küstenland zwischen dem Memelstrom und dem Finnischen Meerbusen. Sie brachten den dortigen Völkern das Christentum und gründeten Städte wie Riga (1201) und Reval (1230), die zur Zeit der Hanse und des Deutschritterordens zu höchster Blüte gelangten. Das neu erschlossene Land hieß im Mittelalter Livland oder Marienland. Später kam auch der Zuzug aus ost- und mitteldeutschen Gauen, der bis über die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts anhielt. Im Laufe von Generationen wurden die Deutschbalten, wie man sie seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts nannte, zu einer eigenständigen Gruppe geformt. Das Land mit seiner lettischen und estnischen Stammbevölkerung, der Umgang mit den Trägern der staatlichen Herrschaft, die seit 1561 aufeinander folgten, den Polen, den Schweden, den Russen und seit 1918 den Letten und Esten, prägten den Charakter der baltischen Deutschen und verwiesen sie immer wieder auf Eigeninitiative und Selbsthilfe. In dieser Umgebung bildeten sich im Laufe der Zeiten die Sitten und Gebräuche, von denen die Mitglieder der BSV die liebenswertesten übernommen haben. Als Träger dieser Tradition nennt sich der Club Baltische Segler-Vereinigung.
Der BSV übernahm nicht nur als Hauptveranstalter die Zoom8 EM 2024, sondern schickte auch fünf Mädchen und Jungen zum Kaløvig Bådelaug (dt. Bootsgilde) Anfang März 2024 ins Trainingslager. Der Kaløvig Bådelaug vercharterte fünf Boote für die EM und WM, sodass auch deutsche Teilnehmer dabei sind, denn das Boot ist vor allem in Dänemark, Schweden, Finnland, Estland und Österreich populär. Deutschlands Zoom8-Klasse ist überschaubar und könnte einen Schub gebrauchen.
Mit der Verlegung nach Wunstorf auf das Steinhuder Meer war die Reise natürlich kürzer. Jens Villumsen und Stefan Ibold mussten mich nicht lange überreden. 2007 war meine allererste IDM der Piraten beim HYC. Ich hatte noch gar keine Lizenz und brauchte eine Meisterschaft, um nationaler Schiedsrichter (NJ) werden zu können. Neun Jahre später war ich als NJ zur WM der Flying Dutchman 2016 ein zweites Mal eingeladen worden. Nun hat es nur acht Jahre gedauert bis zur erneuten Rückkehr.
Mein Weg führte mich am Dienstag nach Hannover zu einem dienstlichen Termin bei den Kollegen des Bauindustrieverbandes Niedersachsen-Bremen e. V. und dann weiter an das Steinhuder Meer. Die Bezeichnung ‚Meer‘ ist im Sinne der niederdeutschen Sprache als Binnensee zu verstehen. Ich war im HYC untergebracht, der sich noch im Winterschlaf befand. Stefan Ibold zeigte mir mein Zimmer, das eigentlich sein Zimmer ist. Danach trafen wir im 3 km entfernten BSV das Team der Jury, bestehend aus Dr. Rainer Kornfeld (IJ, Österreich), Günter Fossler (IJ, Österreich), Chairman Jens Villumsen (IJ, Dänemark) und natürlich Stefan Ibold (NJ, Deutschland). Ich selbst fungierte als Vice Chairman der Internationalen Jury.
Stefan, Rainer und Jens kenne ich natürlich aus Warnemünde und von vielen anderen Veranstaltungen. Zuletzt haben Rainer, Jens und ich in Röbel/Müritz die IDM der ILCA 6 und 7 im Oktober 2023 geschiedst. Dort war auch schon Günter Fossler dabei, der aus der Piratenszene als mehrfacher österreichischer Meister bestens bekannt ist und mit mir 2019 zum IJ-Seminar in Gdansk war.
Die Zoom8 ist in Deutschland weniger bekannt. Es ist eine kleine, leichte Segeljolle für Kinder und Jugendliche. Neben Freizeitzwecken dient das einhand gesegelte Boot vor allem in Skandinavien, Österreich und Estland der Ausbildung des Seglernachwuchses für den Regattasport. Zoom8 ist eine von World Sailing anerkannte internationale Einheitsklasse.
Anfang der 1990er Jahre wurde das Boot von jungen Jollenseglern und dem im Bootsbau erfahrenen Henrik Segercrantz in Finnland entworfen. Rumpf und Deck sind in Sandwichbauweise, die Decklagen aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK), gefertigt. Der Mast besteht aus GFK mit Carbon-Verstärkungen, der Baum aus schwarz eloxiertem Aluminium. Das Boot ist cat-getakelt, hat also nur ein Segel mit einer Segelfläche von 4,8 m². Als Segeltuch wird gewebtes Dacron-Tuch verwendet. Die maximale Zuladung des segelfertigen Bootes beträgt 150 kg.
Jens, Rainer, Günter, Stefan und ich nutzten die Zeit bis zur Eröffnung für eine kurze Jurybesprechung. Ich unternahm anschließend mit Jens und Sportwart Thorsten Gaubisch einen Rundgang, bei dem ich auch Wettfahrleiterin Marianne Müller kennenlernte.
Um 17 Uhr folgte die Eröffnung mit Reden vom Bürgermeister, der Regionspräsidentin Hannover und des Vereinsvorsitzenden, der hier ‚Commodore‘ heißt. Die Präsidentin des Weltverbandes, Anita Yngve, eröffnete schließlich die Zoom8 EM 2024 offiziell und die Klassenflagge wurde am Flaggenmast des BSV gehisst. Um 18 Uhr folgte ein Skipper’s Meeting und um 19 Uhr eine Pasta Party mit reichlich Nudeln und guter Nachspeise. Wir ließen den ersten Abend im ruhigeren HYC ausklingen.
Am nächsten Morgen war es 4°C „warm“ und das Steinhuder Meer präsentierte sich spiegelglatt. Günter Fossler und ich sowie Rainer und Jens bildeten Fahrgemeinschaften und fuhren zum Frühstück zum BSV. Um 8:30 Uhr hatte uns Beate ein Frühstück mit allen Drum und Dran aufgetischt. Hier traf ich auch Chefvermesser Karl Mikulaschek (IM, AUT) wieder, den ich erstmals 2021 bei der WM in Furesøen kennenlernte. Das Lunchpaket schmierte sich jeder selbst.
Während unseres Jurymeetings wurde ‚AP‘ auf unbestimmte Zeit gesetzt. An beiden Tagen zuvor liefen die Practice Races noch prima. Nun war der Wind weg. Zwar keimte um 12:30 Uhr bei einer kurzen Brise einmal Hoffnung, aber auch die war schnell vorbei. Wir hatten viel Gelegenheit, zu erzählen und um 16 Uhr endete der Tag mit ‚AP über Alpha‘. Nach einem Abendessen im BSV fuhren wir in den HYC und der Abend wurde viel zu lang.
Für den zweiten Tag waren nun vier statt drei Wettfahrten angesetzt und das Ankündigungssignal wurde um eine Stunde auf 10:00 Uhr vorverlegt. Nach dem Frühstück ging es direkt auf das Wasser. Acht bis zehn Knoten boten uns gute Anfangsbedingungen und erwartungsgemäß waren die dänischen und estnischen Segler vorne. Gesegelt wurde ein Outer Loop mit einer kurzen Zielkreuz. Auch wenn es nur eine Klasse war und sich so auch ein Up-and-Down-Kurs angeboten hätte, wurde der Kurs gewählt, den die jungen Segler gewöhnt sind.
Im Laufe der zweiten Wettfahrt und insbesondere zwischen der zweiten und dritten Wettfahrt nahm der Wind kräftig zu. Zum Ankündigungssignal der dritten Wettfahrt hatte ich schon 21 und in Böen 23 Knoten gemessen. Die Flagge ‚Oscar‘ mit Freigabe einiger eigentlich verbotener Handlungen aus Regel 42 wird von der Klassenvereinigung ab 12 Knoten empfohlen, war klar überschritten und wurde folgerichtig auch gesetzt. Als das Startsignal kam, nahm der Wind konstant bis auf 30 Knoten in Böen zu. Zahlreiche Kenterungen waren die Folge und auch wir als Jury waren als Rettungsboote im Einsatz. Während Stefan und Rainer ein estnisches Boot sogar in den Hafen schleppen mussten, waren Günter und ich gefordert, um Segler zurück zu ihren Booten zu bringen. Die dritte Wettfahrt konnte noch beendet werden, weil aber mehr als die Hälfte des Feldes schon gekentert oder im Hafen war, wurde keine vierte Wettfahrt mehr gestartet.
Uns bescherte der Abend fünf Anhörungen zu Protesten, von denen ein Protest noch zurückgezogen wurde und zwei Fällen sich zu einer Anhörung verbinden ließen. Schlichtung (Arbitration) war in keinem Fall möglich bzw. erfolgreich. Insgesamt waren wir mit allen Anhörungen und den Verschriftlichungen über drei Stunden beschäftigt. Zweimal folgte für den Protestführer eine Disqualifikation, dabei einmal auch für den bisher Gesamtführenden Dänen. Nach dem Abendessen kehrten wir müde in den HYC zurück, sodass der Abend früh endete.
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen ging es wieder direkt auf das Steinhuder Meer. Ich war wieder in deutsch-österreichischer Kombination – dieses Mal aber mit Rainer – unterwegs. Die Bedingungen waren mit 15 bis 17 Knoten für alle gut beherrschbar. Die ersten zwei Wettfahrten konnten alle 29 Segler absolvieren. Erst zur dritten und vierten Wettfahrt traten nicht mehr alle an. Manche Kenterung hatte doch Kraft gekostet. Alfred Heinemeier Madsen (DEN) gewann alle vier Wettfahrten. Ein UFD am Tag zuvor hatte seine Gesamtführung noch verhindert, aber die Startstrafe konnte er jetzt streichen. Wie am Vortag vergaben wir keine gelbe Flagge. ‚Oscar‘ wurde fast am ganzen Tag auf allen Bahnschenkeln gezeigt. Lediglich zum Ende der vierten Wettfahrt ließ der Wind etwas nach. Mit sieben Wettfahrten war die Meisterschaft am dritten Tag gültig. Proteste gab es nicht. Das Eventdinner mit Salaten, reichlich Schnitzel und verschiedenen Dessertvariationen rundete den Tag ab.
Schon kam unser letzter Tag und ich teilte mir das Juryboot mit Jens. Es waren 4 bis 5 Knoten und nach einer Startverschiebung auf dem Wasser ging es los. Aber der Wind ließ nach und weil keine fairen Bedingungen mehr auf allen Teilen des Kurses gegeben waren – teils war es windstill – entschied sich das Wettfahrtkomitee für den Abbruch der Wettfahrt. Nach einer Pause wurde erneut gestartet, aber schon an der ersten Luvbahnmarke wurden nur noch 2 Knoten gemessen. Es folgte der zweite Abbruch des Tages.
Nach einer noch längeren Pause wurde ein dritter Versuch gestartet, der ebenso erfolglos endete wie die ersten beiden. Eigentlich waren vier Wettfahrten geplant. Nach einer längeren Pause und aufgrund der schlechten Prognosen verschiedener Wettermodelle entschied sich das Wettfahrtkomitee zu ‚AP über Alpha‘. Damit war die Europameisterschaft beendet.
An Land begann das große Packen. Wir hatten unsere Zimmer im HYC schon geräumt und warteten vergeblich auf Proteste. Die kamen mangels Wettfahrten natürlich nicht mehr. Auf der Siegerehrung wurden alle 29 Teilnehmer geehrt. Alfred Heinemeier Madsen (DEN) gewann die Europameisterschaft vor Mia Maria Lipsmae (EST) und Kåre Thybo Kavin (DEN). Die ersten zwölf Plätze teilten sich Dänemark und Estland mit je sechs Seglern. Erst Platz 13 belegte die beste finnische und Platz 14 die beste schwedische Seglerin. Jane Tone Riedel, eigentlich 420er-Seglerin vom gastgebenden BSV, wurde auf Platz 23 beste Deutsche. Ein DSQ hatte eine bessere Platzierung behindert.
Unmittelbar nach der Siegerehrung verabschiedete ich mich von Rainer, Günter und Jens. Rainer und Günter würden noch am Abend nach Wien fliegen. Nach einem kurzen Abstecher zu Stefan Ibolds Wohnung brachte mich mein Auto sicher nach Schwerin und am Ostersonntag weiter zum Osterbrunch nach Güstrow.
Mit den Zoom8 wird es zur WARNEMÜNDER WOCHE ein Wiedersehen geben. Dann steht die Austragung der Weltmeisterschaft an. Ein Wiedersehen gibt es dann auch mit Jens und Rainer.
Für mich geht es auswärts mit dem 19. Plauer Opti-Cup über Himmelfahrt weiter – 89 Boote sind schon in der Meldeliste. International ruft danach schon Warnemünde und zwischendurch natürlich immer wieder der Inselsee. Die Segelsaison fängt ja gerade erst an.
Jörn-Christoph Jansen